To crunch or not to crunch – das ist hier die Frage

To crunch or not to crunch - das ist hier die Frage

Ich habe kürzlich den Post einer Mutter gelesen, die fragte, ob sie denn jetzt wieder Crunches machen dürfe … Ich halte diese Frage für ausgesprochen sinnvoll. Sind Crunches doch allgegenwärtig. Im Fitnessstudio, in der Bauch-Beine-Po-Stunde, in der Toningstunde und auch im Alltag ist diese Bewegung fest verankert.

Ich schreibe an dieser Stelle gleich mal: Crunches sind nicht BÖSE, sie sind nicht für jeden geeignet und nein, ich finde auch nicht, dass wir sie per se verteufeln sollten. Ich denke, ein differenzierter Umgang mit den Bewertungen gut und schlecht täte uns „Experten“, die  wir täglich mit Müttern trainieren, ganz gut. Übungen die zu einem bestimmten Zeitpunkt kontraindiziert sind, können zu einem späteren Zeitpunkt durchaus sinnvoll sein. Bevor es gleich zum Shitstorm kommt, betone ich an dieser Stelle, dass Crunches grundsätzlich nicht funktionell sind und, wenn es um effektives Bauchmuskeltraining geht, ganz unten auf meiner Liste stehen. Du willst ein Sixpack? Dann iss weniger bzw. iss die richtigen Sachen, trainiere dein stabilisierendes System und suche dir wirkungsvolle Übungen aus, die deine Bauchmuskeln im Verbund mit deinen Rücken-, Hüft- und Gesäßmuskeln trainieren, d.h. nicht isoliert wie bei einem Crunch. Damit dies ein bisschen verständlicher rüberkommt, schauen wir uns erst einmal an, von wo nach wo die Bauchmuskeln verlaufen und welche Aufgabe sie haben. Danach gucken wir, in welchen Positionen unsere Bauchmuskeln gemäß ihrer Funktion sinnvoll trainiert werden können. Es gibt also großartige Übungsvorschläge.

Sounds like a plan? Dann lasst uns loslegen.

Ein bisschen Anatomie schadet nie

Als „wir“ noch auf allen Vieren krochen, waren die Bauchmuskeln dafür zuständig, das Gewicht der inneren Organe zu halten und eine Brücke zwischen Becken und Brustkorb zu bilden. Seitdem wir aufrecht laufen und die Schwerkraft vom Kopf bis zum Fuß auf uns wirkt, ist den Bauchmuskeln eine etwas andere Aufgabe zuteilgeworden. Sie halten uns gemeinsam mit dem Rückenstrecker gegen die Schwerkraft aufrecht, beugen die Wirbelsäule, neigen uns zur Seite und drehen (rotieren) den Oberkörper. Hinzu kommt ihre Funktion als Atemhilfsmuskel und ihr maßgeblicher Anteil an der Wirbelsäulen- und Beckenstabilität.

Da alle Bauchmuskeln immer gleichzeitig arbeiten, jedoch je nach Bewegung, Beckenstellung und Ausgangsposition unterschiedlich stark aktiv sind, findest du hier einen Überblick über die Muskeln, die deine vordere Bauchwand ausmachen.

Da ich mich ja zu den Mamabloggern zähle, setze ich diesen Artikel natürlich in den Kontext Rückbildung und Training nach abgeschlossener Rückbildung.

Deine Bauchmuskeln während der Schwangerschaft und danach

Stell dir vor, deine Bauchmuskeln sind im nicht-schwangeren Zustand wie eine blickdichte Gardine, die dafür sorgt, dass der Raum komplett dunkel ist. Ein richtig dicker Stoff, der dafür sorgt, dass kein Licht in den Raum eindringt. In der Schwangerschaft wird mit wachsendem Bauch deine Bauchmuskulatur gedehnt. Aus den dicken Muskelbäuchen (deine blickdichte, verdunkelnde Gardine) werden „durchsichtige Spitzengardinen“, die Muskelbäuche werden zusehends dünner. Damit verlieren sie ihre Kraft und verlassen ihre Zugrichtung. Nach der Geburt dauert es ca. ein Jahr, bis sie ihre ursprüngliche Kraft wiedererlangt haben.

Attention - Achtung - Aufpassen!

Und jetzt aufpassen! Ein Crunch – und das schreibe ich für alle die Kursleiter, die in ihrem Rückbildungskurs fleißig schräge und gerade Bauchmuskel-Crunches machen lassen. Diese Übung hat in einem Rückbildungskurs nichts, absolut gar nichts zu suchen!! Ich weiß, dass viele, die diesen Text hier lesen, das wissen und solchen Unsinn auch nicht in ihren Kursen fabrizieren. Ich weiß leider auch, dass es immer noch genügend Unwissende gibt, die glauben, dass sie den Mamas damit etwas Gutes tun. Die Tatsache, dass die Rückbildungsprozesse mit dem Wochenbett nicht abgeschlossen sind, sollte bei wirklich jedem ein fettes rotes Ausrufezeichen auf den Plan rufen. In der Rückbildungszeit bin ich als Mutter damit beschäftigt, meine aufrechte Haltung wiederzuerlangen, meine Stützmuskulatur zu kräftigen und meinen Bauchinnendruck zu regulieren.

Was bedeutet das genau?

  1. Mit Crunches erhöhe ich meinen Bauchinnendruck und belaste meinen Beckenboden. In diesem Stadium können die meisten Mamis nicht mit dem Beckenboden gegen den vom Kopf herkommenden Druck ansteuern, es wird also mit jeder Wiederholung eine Senkung der Beckenorgane forciert. Hinzu kommt, dass ich mich mit jeder Wiederholung in die Position eines Katzenbuckels begebe. Ja, echt: Wenn ihr die Position in die Vertikale übertragt, hat das etwas vom Glöckner von Notre Dame. Das ist null alltagstauglich und nicht zielführend, wenn es um das Wiedererlangen einer aufrechten Körperhaltung geht.
  2. Die nicht optimale Regulation des Bauchinnendrucks sorgt bei Crunches dafür, dass ich gegen die eventuell noch sehr weiche Linea alba von innen drücke und eine bleibende Rektusdiastase provoziere. Gerade dass die Mütter sechs bis acht Wochen postpartum bereits wieder eine intakte Bauchdecke haben, verführt unwissende Kursleiterinnen sowie sich in Sicherheit wähnende Mütter dazu, das Training zu intensivieren und „wilde Übungsvariationen“ einzubauen. Da aufgrund des Prolaktins (bei stillenden Mamas) das Gewebe noch weich ist und eine mangelnde Bewegungskontrolle vorherrscht, trainieren sich diese Frauen mit Crunches eine Rektusdiastase regelrecht an.
  3. Wusstest du, dass sich der Abstand zwischen deinen geraden Bauchmuskeln verkleinert, sobald du deinen Kopf anhebst? Wenn du diese Bewegung ohne Vorspannung des Beckenbodens und der tiefliegenden Bauchmuskeln ausführst, könnte man denken, dass der Bauchspalt gar nicht so groß ist. Pustekuchen – mit angehobenem Kopf und bei entspannter Bauchdecke ist deine Rektusdiastase um einiges größer. Und wir haben in diesem Zusammenhang noch nicht über die Beschaffenheit deiner Linea alba gesprochen. Diese ist nämlich maßgeblich an der Funktion deiner Bauchdecke beteiligt. Aber das gehört in einen anderen Blogpost (https://thecenter.tv/videos/was-ist-eine-rektusdiastase/).

Im Fall der Rückbildung heißt es definitiv: DO NOT CRUNCH AND DO NOT PLANK, das schiebe ich einfach mal hinterher, wo ich gerade in Fahrt bin.

Crunches – Der Auswuchs des Bösen oder einfach nur eine Übung?

Allerdings werden Crunches von einigen „Experten“ so behandelt, als wären sie der leibhaftige Teufel, der Auswuchs des Bösen … Wann immer eine Expertin, Physio oder Trainerin schreibt: „Mache niemals Crunches, davon wirst du inkontinent, deine gerade geheilte oder operierte Rektusdiastase geht wieder auf …“, sorgen solche undifferenzierten und auch falschen Aussagen für extreme Verunsicherungen bei Müttern, die sich gerne wieder normal bewegen wollen und Freude am Sport und an der Bewegung haben.

Grundsätzlich steht außer Frage: Crunches sind Zeitverschwendung, belastend und ineffektiv.

Trotzdem muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass nicht alle Frauen, die geboren haben und kurz danach Crunches machen, inkontinent werden und/oder einen Organprolaps erleiden. Es gibt Frauen mit Rektusdiastase, die gelernt haben, ihren Bauchinnendruck zu kontrollieren, und Bauchmuskelübungen ausführen können ohne Hügel oder Graben in der Linea alba. Sie haben ihre Bewegungen unter Kontrolle. Das kann man trainieren!!

Wenn du eine Rektusdiastasen-OP hattest, ist deine Bauchdecke danach wieder belastungsstabil und du kannst alle Bewegungen ausführen. Das ist erst mal Fakt. Wenn du natürlich nach solch einer OP nicht an deiner Haltung arbeitest und an deinem Alltagsverhalten, dann wird deine Bauchdecke nicht zwangsläufig wieder aufreißen, aber du verschiebst das Problem und über kurz oder lang entsteht ein neues. Dass man keine Reha verschrieben bekommt nach einer so großen OP, liegt leider daran, dass eine Rektusdiastase als kosmetisches Problem angesehen wird und nicht als ein funktionelles.

Was passiert im Körper bei herkömmlichen Crunches?

Ich beschreibe mal die Variante, die viele von uns vor Augen haben. Gestählte Frauen und Männer im Fitnessstudio, die 100 Wiederholungen und mehr schaffen und den Oberkörper meist mehr eher weniger kontrolliert hoch und runter bewegen. So ein Sixpack in Aktion sieht natürlich beeindruckend aus, und die Crunches haben ihren Teil dazu beigetragen. Aber die Damen und Herren sehen so aus, weil sie sich dementsprechend ernähren und einen sehr geringen Körperfettanteil haben. Zurück zum Wesentlichen. Bei den Crunches werden nicht mehr als 20% der Bauchmuskeln trainiert. Das Becken ist meistens instabil und wird ohne Gegenspannung vom Beckenboden trainiert. Das führt dazu, dass durch den erhöhten Bauchinnendruck die Beckenorgane nach unten geschoben werden, was eine unnötig hohe Belastung für den Beckenboden darstellt. Deine Wirbelsäule wird stark belastet und bei falscher Ausführung führt dies zu Rückenschmerzen, denn du trainierst deine Bauchmuskeln isoliert, was auf die Dauer zu einem Ungleichgewicht zwischen Körpervorderseite und Rückseite führt. Diese Bewegung ist null funktionell und wird nicht gebraucht, außer du bist Turnerin oder machst z. B. Judo.

Und was ist mit Pilates und Yoga?

Diese Frage ereilte mich auch vonseiten einiger Frauen, die seit Jahren trainieren und sich ausgesprochen gut dabei fühlen, jetzt aber total verunsichert sind. Pilates ist voll von bauchraumverkürzenden Übungen. Wir heben den Kopf aus der Rückenlage gegen die Schwerkraft an, rollen mit angewinkelten oder ausgestreckten Beinen aus der Rückenlage nach oben in den Sitz. Strecken die Arme und die Beine weg vom Körperzentrum und habendabei den Oberkörper in der Luft.

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass nicht jedes Training für jeden geeignet ist und dass, obwohl Pilates & Yoga immer als sanfte Methoden dargestellt werden, beide Methoden durchaus auch ihre Schwachstellen haben und eventuell für die ein oder andere nicht geeignet sind.

Grundsätzlich bereitet dich Pilates aber hervorragend darauf vor, dich gegen die Schwerkraft aufzurichten. Die Verbindung aus Atmung und dem Aufbau der Basisspannung von Beckenboden und tiefer Bauchmuskulatur sorgt für einen stabilen Rumpf bei gleichzeitiger Extremitätenbewegung. Da die Übungen auch noch an die jeweiligen Bedürfnisse einer Mama angepasst werden können, ist Pilates nach abgeschlossener Rückbildung eine gute Möglichkeit, weiter an der Kraft für die Körpermitte zu arbeiten und die Haltung zu schulen. Und „Klappmesser“, so wie sie im Pilates gemacht werden, sind herausfordernd und es bedarf eines perfekten Zusammenspiels der Muskulatur, um diese Übung sauber ausführen zu können. Für eine Mama mit RD ist das absolut tabu. Für eine sportliche Frau mit intakter Bauchdecke und gesundem Beckenboden ist das mit der Zeit durchaus machbar.

To crunch or not to crunch - das ist hier die Frage

Die Autorin

Juliana Afram

Verfasst von und erschienen bei Juliana Afram. Denn vollständigen Artikel mit zusätzlichen Übungen findest du hier: https://thecenter.tv/rueckbildung/to-crunch-or-not-to-crunch-das-ist-hier-die-frage/

Das The Center®-Konzept von Juliana Afram beinhaltet Workouts für werdende sowie frisch gebackene Mütter und Frauen, die Familie, Karriere und Gesundheit in einer gesunden Balance vereinen wollen, ebenso Übungsabfolgen mit therapeutischem Hintergrund, die Juliana zusammen mit Physiotherapeuten und Osteopathen für unterschiedliche Beschwerdebilder entwickelt hat. Als Sportmanagerin, Ausbilderin im Sport- und Fitnessbereich (u.a. für pre- und postnatales Training), Personal Trainerin und zweifache Mutter,bringt sie über 17 Jahre Berufserfahrung mit. Aufgrund ihrer zwei, teilweise sehr komplizierten Schwangerschaften und postnatalen Beschwerden, hat Juliana einen tiefen persönlichen Einblick in die physio- und psychologischen Aspekte des Mutterwerdens und Mutterseins bekommen und steht euch mit ihrer Erfahrung und Expertise zur Seite.